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Sauerstoffmangel in der westlichen Ostsee

Sauerstoffmangel

Insgesamt erscheint die Sauerstoffsituation 2002 im Bodenwasser der westlichen Ostsee deutlich schlechter als in den letzten Jahren. Bemerkenswert ist das jahreszeitlich frühe Auftreten des Sauerstoffmangels. Bereits vor zwei Wochen (13.8.) wurde bei Messungen in Bodennähe das Fehlen von Sauerstoff und Schwefelwasserstoff festgestellt. Auch Sondenmessungen erbrachten in der Innen- wie Außenförde sehr niedrige Werte zwischen 1,0 und 0,3 mg/l Sauerstoff. Die Bildung giftigen Schwefelwasserstoffs ist auch hier zu vermuten. Sollte der Wind auf westliche Richtungen umschwenken und sich verstärken, kann es zum Auftrieb giftigen H2S-haltigen Wassers an die Oberfläche kommen. Dann ist auch an schleswig-holsteinischen Küsten mit Fischsterben zu rechnen. Festsitzende Bodentiere sind vermutlich schon jetzt in einigen Bereichen geschädigt oder abgestorben. In Dänemark spricht man jetzt schon von dem größten O2-Mangelereignis seit Beginn der Messungen. Weite Bereiche des Meeresbodens um Fünen im Großen und Kleinen Belt seien bereits abgestorben. Um einen großflächigen Überblick über die Situation vor Schleswig-Holstein zu erhalten, werden vom 2. bis 20. September auf über 60 Messstellen hydrographische Untersuchungen und Sauerstoffmessungen durchgeführt. Eine ähnliche Kampagne gab es bereits im letzten Jahr, so dass Vergleichsdaten vorliegen. Mit Zwischenergebnissen ist bereits am 6. September Herrn zu rechnen. An die hydrographischen und chemischen Messungen schließt sich vom 23. bis 27.9. ein Unterwasservideomonitoring an, bei dem eine erste Bewertung der Auswirkung auf die Bodenlebewelt vorgenommen wird. Auf eine mögliche Ursache vom 20.8.2002 hin:. Der erhöhte Phytoplanktongehalt ist sicher eine Folge der erhöhten Festlandsabflüsse mit seinen Nährstofffrachten im Juli durch die Starkregenereignisse. Aber auch letzten Herbst und im Frühjahr gab es überdurchschnittliche Regenfälle. Dadurch kam es neben Nährstoffen auch zum Eintrag von sauerstoffzehrender organischer Substanz (Blätter, Mückelarven, Süsswasseralgen etc.) in die Küstengewässer. Zudem sind durch die lang anhaltende, schwache Ostwindlage die Salzgehalte an der Oberfläche gering, die Temperaturen hoch und damit die Schichtung sehr stabil. Dieses verhindert Wasseraustausch und Belüftung des Bodenwassers. Mit einer Entspannung der Situation ist erfahrungsgemäß erst Anfang bis Mitte Oktober zu rechnen, wenn sich durch Abkühlung und Starkwinde die Schichtung nach und nach auflöst und sauerstoffreiches Wasser an den Boden herangeführt wird. Im Oberflächenwasser treten wegen des ständigen Kontaktes mit der Atmosphäre, der Sauerstoffproduktion des Phytoplanktons bei der Fotosynthese im Sommer und der thermischen Konvektion im Winter keine Sauerstoffprobleme auf. Anders im Tiefenwasser. Die Dichteschichtung, vor allem die haline Sprungschicht, wirkt wie eine Sperre. Gegenüber vertikalen Austauschprozessen, so dass eine konvektive Erneuerung des Bodenwassers ausgeschlossen ist. Erfolgt kein horizontaler Wasseraustausch, dann bilden sich in den Becken der Ostsee lebensfeindliche sauerstoffarme und -freie Zonen, da der im Wasser gelöste Sauerstoff beim Abbau der abgesunkenen toten organischen Substanz aufgezehrt wird. Folge: Zweiteilung des Meeres in eine sauerstoffreiche obere und eine extrem sauerstoffarme untere Schicht, die durch einen scharfen O2-Übergangs- reich von der oberen getrennt ist . Da die Tiefenzonen der Ostsee durch die starke Dichteschichtung von dem Austausch mit dem Oberflächenwasser abgeschlossen sind, kann die Sauerstoffversorgung der tiefen Becken in der Ostsee nur über den horizontalen Wasseraustausch erfolgen. Als Mittel des Sauerstofftransportes dient das salzreichere und damit schwerere Meerwasser der Nordsee, das sich unter das salzärmere, leichtere, aufgrund des Druckgefälles im Mittel ausströmende Ostseewasser schiebt und als Tiefenstrom in die Ostsee eindringt. Die advektive Erneuerung des Bodenwassers in der Ostsee über den Einstrom von sauerstoffhaltigem Nordseewasser durch die Belte und den Öresund ist jedoch an gewisse Bedingungen geknüpft. Während nämlich der Ausstrom des durch die Flusswasserzufuhr ausgesüßten, also leichteren Oberflächenwassers - von bestimmten Wetterlagen abgesehen ungehindert erfolgen kann, stellt das Bodenrelief mit seinen engen und flachen Durchlässen in der Beltsee sowie den Schwellen zwischen den einzelnen Becken im Inneren der Ostsee ein erhebliches Hemmnis für das spezifisch schwerere Einstromwasser dar. Nur bei einer hinreichenden Ansammlung von Salzwasser vor den Eingangsschwellen zur Ostsee und einer bei anhaltend starken Westwinden und niedrigen Wasserständen in der westlichen Ostsee länger andauernden Einstromlage kann es daher zu einer durchgreifenden Wassererneuerung in den Ostseebecken kommen. Wassertemperaturänderungen In den Jahren 1979 bis 1988 sind in der zentralen Ostsee im Tiefenbereich von 80 - 100 m die Sauerstoffverhältnisse etwas besser geworden. Dort konnten weite Bereiche des Meeresbodens wieder besiedelt werden, wo vorher die Tierwelt wegen Sauerstoffmangel fehlte. Die Ursache für diese Veränderung ist u.a. in der Verlagerung der Salzgehaltssprungschicht im gleichen Zeitraum um etwa 9 m in die Tiefe zu erkennen. Der Oberflächenwasserkörper, in dem keine Sauerstoffprobleme auftreten, reicht somit 9 m weiter nach unten. In den größeren Tiefen der Ostsee sind dagegen seit 1979 die Verhältnisse schlechter geworden. In vielen Tiefenzonen gibt es im Wasser über dem Meeresboden seit langem überhaupt keinen Sauerstoff mehr. O2-Löslichkeit im Wasser Löslichkeit von Luftsauerstoff (in ml/l) im Wasser ist abhängig von Temperatur und Salzgehalt Schwefelwasserstoff - ein Todesbote Giftiger Schwefelwasserstoff entwickelt sich durch die Tätigkeit von Bakterien. Bodentiere können unter diesen anaeroben Bedingungen nicht leben. Die Ausdehnung der allgemein als tote Zonen bezeichneten Areale wird auf 20 000 km2 geschätzt. Aus ihrer Ausbreitung folgert man, dass die Ostsee "stirbt". Der Meeresökologe sieht dies allerdings differenzierter, denn auch die Bakterien, welche Schwefelwasserstoff produzieren, leben. Man muss aber betonen, dass die Oberflächenschichten der offenen Ostsee hiervon ebensowenig betroffen sind wie im Schwarzen Meer, wo es seit Jahrtausenden in der Tiefe keinen Sauerstoff gibt. Seit 1956 mehren sich die Beobachtungen von Sauerstoffmangel auch in den Förden und abgeschlossenen Buchten. In der Kieler und Mecklenburger Bucht wurde im September 1981 in allen Wassertiefen von mehr als 20 m extremer Sauerstoffmangel festgestellt. Vielfach gab es auch höhere Konzentrationen des giftigen Schwefelwasserstoffes, der sich durch Bakterienwirkung bildet. Bis auf die Muscheln Arctica und Astarte sowie den Wurm Halicryptus starb die gesamte Bodenfauna weitgehend aus. Auch in dänischen und schwedischen Gewässern traten gleichzeitig Sauerstoffmangelzonen in bisher nie beobachtetem Ausmaß auf. 1983 herrschte in den genannten Bereichen eine ähnliche Situation. Historische Daten belegen, dass es Sauerstoffmangel am Boden der Kieler Bucht vermutlich schon zur Bronzezeit vor 7000 Jahren und auch während des hochmittelalterlichen Klimaoptimums vor 900 Jahren gegeben hat, und zwar über viele Jahrzehnte hinweg. Ein Absterben der Bodenfauna in der Kieler Bucht durch Sauerstoffmangel war auch 1913, 1926, 1961, 1964, 1967, 1972 und 1975 zu verzeichnen, wenn auch nicht so weiträumig wie 1981. Im Bodenwasser der Eckernförder Bucht bei Boknis Eck wurde Sauerstoffmangel in der Dekade 1975-1984 häufiger festgestellt als in den 10 Jahren vorher. Seit 1980 gab es kein Jahr mit guten Sauerstoffverhältnissen im Sommer. Dennoch kam es selbst bei knapper Versorgung alljährlich zu schneller Wiederbesiedlung des Meeresbodens. Nicht nur das Oberflächenwasser, auch das Tiefenwasser der Ostsee ist seit 1978 salzärmer geworden und hat nur noch 11,5 ‰ Salzgehalt gegenüber 13 ‰ im Jahr 1977. Deshalb würde jetzt schon ein Einstrom verhältnismäßig salzarmen Wassers ausreichen, um das Bodenwasser in der zentralen Ostsee auszutauschen. Am besten wäre es für das ökologische System der Ostsee, wenn alljährlich mit dem Salzwassereinstrom etwas mehr Sauerstoff geliefert als im Laufe des Jahres verbraucht würde. Wie sich aber langfristig die Wetterbedingungen entwickeln werden und mit welcher Häufigkeit es in den kommenden Jahrzehnten Salzwassereinbrüche geben wird, kann man nicht vorhersagen. Die tieferen Becken der Ostsee bleiben dann ohne Sauerstoff, trotz aller Anstrengung zur Nährstoffreduzierung. Belastung der Ostsee-Umwelt durch Schadstoffe Unter Schadstoffe fallen Umweltgifte industriell-technischen Ursprungs wie DDT, PCBs (polychlorierte Biphenyle) oder auch das 1988 für bewuchsverhindernde Unterwasseranstriche bei Sportbooten verbotene hochgiftige TBT (Tributylzinn). Die Konzentrationen im Wasser sind teilweise außerordentlich gering. Bekannt ist hingegen die Akkumulationsfähigkeit vieler Organismen, die als Umweltindikatoren herangezogen werden können wie z.B. die Miesmuscheln. Bereits kurz nach 1970 wurde in allen Ostsee-Anliegerstaaten die Anwendung von DDT verboten oder zumindest erheblich eingeschränkt. Dies hat relativ schnelle Auswirkungen gehabt: Die DDT-Konzentration in Seevögeleiern und in der Muskulatur von Heringen gingen bedeutend zurück (Rückgang von 0,7 mg/kg auf 0,2 mg/kg in der Zeit von 1974-1982). Heute liegt die DDT-Konzentration in der offenen Ostsee vielfach unter der Nachweisgrenze (0,05 ng/I). Für die Krankheits- und Missbildungsphänomene des gefährdeten Bestandes von 2000 Kegelrobben und rund 10 000 Ringelrobben in der nördlichen Ostsee hatten schwedische Meeresbiologen wohl nicht zu Unrecht die Belastung durch PCBs verantwortlich gemacht. Die Konzentrationen von PCBs haben sich in den letzten Jahren nach einem schnellen Rückgang auf einem niedrigeren Niveau eingependelt. Auch Quecksilber ist für die Ostsee großräumig kein gravierendes Problem mehr. Die heute gemessenen Konzentrationen von etwa 3 ng/l, davon zur Hälfte in labiler anorganischer Form, entsprechen etwa dem naturgegebenen Gehalt, wie er sich im offenen Nordatlantik findet. Bis 1980/83 war der Quecksilbergehalt in Heringen und Dorschen auf unter 0,03 mg/kg zurückgegangen. Das Quecksilber stammte teilweise aus der Zellstoff- und Papierindustrie des Ostseeraumes. Eine ähnliche Entwicklungstendenz ist für das Cadmium festzustellen. Die Konzentration von Spurenelementen (Schwermetallen) in der offenen Ostsee liegt, abgesehen von Flussmündungsgebieten, nur unwesentlich höher als im Atlantik, der als Referenzpunkt für die globale Belastung der marinen Biosphäre dienen kann. Jährlich werden in die Ostsee durch Zuflüsse, Schiffsbetrieb und durch die Atmosphäre rund 50.000 t Erdölbestandteile eingebracht. Im Ostseewasser finden sich 0,2-2,0 mg/m3. In der Nähe von Städten und Raffineriestandorten ist die Belastung aber erheblich größer. Besonders Vögel und benthische (auf dem Meeresboden) Lebensgemeinschaften werden hierdurch betroffen. Perspektiven Gravierende Umweltprobleme treten im Ostseebereich in Küstengewässern auf, die in dieser, auf die offene See konzentrierten Gesamtschau nicht berücksichtigt werden konnten. Die inneren Förden und Buchten oder auch Bodden und Haffs mit eingeschränktem Wasseraustausch zur offenen See sowie die Flussmündungsbereiche der Newa, Weichsel und Memel, der Düna oder der Oder unterliegen nicht nur stärkerer Inanspruchnahme durch den Menschen, sondern unterstehen umweltpolitisch noch ausschließlich der nationalen Verantwortlichkeit. Wegen gesundheitlicher Gefährdung durch Kolibakterien mussten 1988/89 an vielen Küstenabschnitten Estlands, Lettlands, Litauens und Polens bereits Badeverbote erlassen werden. Das Ökosystem Ostsee ist nach heutiger Einschätzung deutlich gefährdeter als das der Nordsee. Hierfür sind die natürlichen Gegebenheiten, insbesondere der geringe Wasseraustausch und die mangelhafte vertikale Durchmischung durch Schichtenbildung verantwortlich, die die Selbstreinigungskraft der Ostsee herabsetzen. Anthropogene Belastungen wirken sich daher in der Ostsee gravierender aus.

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